"Moonlight"-Regisseur Barry Jenkins
Moderation: Susanne Burg |
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Für seine unkonventionelle Regie hat "Moonlight"-Regisseur Barry Jenkins in diesem Jahr den Oscar bekommen. "Moonlight" ist ein Film über das Erwachsenwerden eines schwarzen Jungen in den USA. Er wollte, dass die Zuschauer in dessen Geschichte eintauchen können, sagt Jenkins im Interview.
Susanne Burg: Eine bessere Werbung kann sich ein Film, der mit 1,5 Millionen US-Dollar für amerikanische Verhältnisse quasi ohne Budget auskommen musste, wohl nicht wünschen: "Moonlight" ist spätestens seit der Oscar-Verleihung Sonntagnacht auch bei uns in aller Munde – nicht nur wegen der Briefumschläge.
Am Donnerstag kommt "Moonlight" nun bei uns in die Kinos – die Geschichte eines heranwachsenden afroamerikanischen Jugendlichen in Florida. Es ist zum Teil auch die Geschichte von Barry Jenkins – des 37-jährigen Regisseurs, der mit seinem zweiten Spielfilm nun weltweit durchgestartet ist. Barry Jenkins war Ende Januar in Berlin. Zu dem Zeitpunkt schon ein Dutzend Preise in der Tasche, auch einen Golden Globe für das beste Drama.
Und deswegen habe ich ihn als erstes auch gefragt: Als er Moonlight im letzten Jahr fertig gestellt hat, ob er damit gerechnet hat, dass der Film schon ein paar Monate später Dutzende von Preisen und Nominierungen erhalten würde.
"Wir haben den Film nicht gemacht, damit er Preise gewinnt"
Barry Jenkins: Nein. Ganz sicher nicht. Als Künstler bin ich erstmal davon ausgegangen, dass meine Mutter und meine Freunde den Film aus purem Pflichtgefühl sehen würden. Darüber hinaus weiß man nie, wer das Publikum sein wird. Wir haben den Film ja auch nicht gemacht, damit er Preise gewinnt. Visuell und von der Erzählform her ist der Film unkonventionell, da war nichts auf einen Gewinnerfilm hin angelegt. Mir ging es Film einfach darum, eine ehrliche Darstellungsform davon zu finden, wie mein Leben verlaufen ist, und jetzt dafür all diese Nominierungen und Preise zu bekommen, freut uns natürlich sehr.
Burg: Moonlight ist eine Coming-of-age-Geschichte, die in drei Kapiteln mit drei Schauspielern erzählt wird. Es ist die Geschichte von Chiron, der sich als Außenseiter fühlt, anders als die anderen, dort, wo er lebt, in Liberty City, einer armen, schwarzen Gegend in Miami. Sie haben mit dem Autor Tarell Alvin McCraney gearbeitet, der wie Sie selber auch aus Liberty City kommt und auch die Schauspieler kommen aus dieser Gegend. Wie entscheidend war diese persönliche Erfahrung und was hat sie dem Film gebracht?
Jenkins: Ich denke, dass das extrem ausschlaggebend war. Als Filmemacher versucht man oft, sich viele Dinge vorzustellen, und das ist auch großartig – jeder fängt irgendwie mit einem leeren Bild an, und mit Hilfe der Vorstellungskraft füllt man dann dieses Bild, so fantasievoll wie man will. Aber in diesem Film war Miami der Protagonist. Es war sehr befreiend, sich etwas vorstellen zu können und dabei genau zu wissen, was das ist, wie es aussieht und wie es sich anfühlt. Der Grund, warum der Film visuell den Erwartungen trotzt, liegt darin, dass er im Bewusstsein der beiden Protagonisten und in mir selber verwurzelt ist. Und das Bewusstsein ist etwas anderes als ein Plot. Das Bewusstsein versetzt einen in die Lage, Dinge visuell umzusetzen, die wir sonst nur fühlen können.
Burg: Visuell haben Sie sich gegen einen neo-realistischen Stil entschieden, gerade haben Sie erklärt, warum – wie wollten Sie das visuell umsetzen?
"Ich wollte das Publikum mit nach Liberty City nehmen"
Jenkins: Ich wollte, dass die Zuschauer in die Geschichte eintauchen können. Wenn wir uns Filme ansehen, schauen wir oft auf die Figuren drauf, ich wollte aber, dass man mit den Protagonisten sieht. Ich wollte nicht, dass der Film eine voyeuristische Erfahrung ist, sondern ich wollte das Publikum – jetzt sind wir gerade hier in Berlin – wortwörtlich mit nach Liberty City, nach Miami nehmen. Es gibt da diese Szene am Meer und ich wollte das Publikum mit in den Ozean nehmen, nicht vom Ufer aus zusehen lassen, wie dieser Junge schwimmen lernt, sondern dass die Leute mit ihm im Wasser mitschwimmen. Das ist ein Leitfaden, der sich durch den ganzen Film zieht – und ich glaube, dass uns das geholfen hat, etwas zu erschaffen, was den Film von anderen Filmen dieses Genres abhebt.
Burg: Drei verschiedene Schauspieler spielen den heranwachsenden Chiron. Chiron eins und zwei habe ich als erstaunlich ähnlich empfunden, sehr klein, schlaksig, dünn. Als ich dann das erste Mal den erwachsenen Chiron gesehen habe, war ich etwas überrascht, weil er so anders war, groß, muskulös und tätowiert – mit einer starken physischen Präsenz. Aber dann schien es doch zu passen, dass er den anderen beiden nicht vollkommen ähnlich war. Können Sie diese Entscheidung erklären, Chiron als Erwachsenen anders darzustellen?
Jenkins: Eines der Themen des Films ist, wie die Gesellschaft, also wir alle – ich, Sie, die Zuhörer – versuchen, Jungen zu erklären, was maskulin ist, wie Männlichkeit aussieht. Ich wollte an dieser Figur zeigen, was passiert, wenn die Männlichkeit Amok läuft. Der Protagonist hat es so satt, immer wieder gesagt zu bekommen, er sei nicht männlich genug, dass er vollkommen überkompensiert und extra-männlich wird. Aber es ist gut, dass wir über die Schauspieler sprechen: Wenn man ihn ansieht, mit all seinen Muskeln, sieht man trotzdem noch den kleinen Jungen innendrin. Ich liebe es, wie er das spielt, denn obwohl er so aussieht, kommuniziert er noch die gleichen Gefühle, wie die Schauspieler, die die jüngeren gespielt haben.
Burg: Er ist in einer von Drogen geprägten Gegend aufgewachsen. Seine Mutter war Crack-süchtig, und er wird selber zum Drogendealer. Chirons Vater ist nicht da. Es ist die sehr individuelle Geschichte von Chiron zum Höhepunkt der Crack-Epidemie Ende der 80er Jahre. Die Crack-Sucht, die Abwesenheit der Väter, die sozio-ökonomischen Probleme, der Mangel an Chancen scheinen dennoch sehr aktuell zu sein. Diese Zeitlosigkeit zeigt auch, dass sich nichts wirklich verändert hat – war das Absicht oder eher ein Nebeneffekt?
Jenkins: Das war auf jeden Fall meine Absicht. Zeitlos ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich wollte, dass man, wenn man den Film in fünf Jahren sieht, trotzdem noch relevant ist. Es gibt diese Doku über James Baldwin von Raoul Peck "I Am Not Your Negro", da sieht man Baldwin vor 40 bis 50 Jahren sprechen und alles, was er sagt, fühlt sich an, als spräche er von heute. Das liegt daran, dass er die Wahrheit sagt. Ich wollte also einfach einen Film machen, der ehrlich und aufrichtig ist.
Burg: Das ist interessant. Ich wollte gerade zu James Baldwin und "I Am Not your Negro" kommen. Baldwin spricht darin über Rassentrennung in den USA und wie Weiße keine Ahnung haben, wie Schwarze eigentlich leben, er erzählt das Mitte der 60er Jahre. In Ihrem Film kann ich mich nicht erinnern, einen Weißen gesehen zu haben. Da frage ich mich, inwieweit 2017 Rassentrennung in bestimmten Gegenden der USA immer noch eine Realität ist und inwieweit Ihr Film einen Einblick liefert ins Leben schwarzer Amerikaner, so wie James Baldwin es ausdrückt, von dem wir als Weiße keine Ahnung haben?
"In einer vollkommen schwarzen Umgebung aufgewachsen"
Jenkins: Das tut er mit Sicherheit. Einen Einblick ins Leben der Schwarzen, die dort leben, wo ich aufgewachsen bin. Was die Rassentrennung betrifft, denke ich: Auch wenn es nicht mehr Regierungspolitik ist, die Rassen zu trennen, gibt es die Trennung dennoch. Es gibt Ausgrenzung und auch Selbst-Abgrenzung. Ich kannte zum Beispiel keine Weißen, bis ich aufs College kam.
Ich bin in einer vollkommen schwarzen Umgebung aufgewachsen, weil sich einfach, basierend auf Hautfarbe, schwarze und weiße Wohngebiete herausbilden. Das ist bedauerlich, denn – um noch mal auf James Baldwin zurückzukommen: Er erzählt, wie ein schwarzes Kind durch Amerika läuft und in den Ladenfenstern nur weiße Schaufensterpuppen und auf den Zeitschriften nur weiße Gesichter sieht. Und sagt, wenn es keine Spiegel gäbe, würde das Kind annehmen, dass alle weiß sind. Wenn man sein Spiegelbild nicht sieht, glaubt man vielleicht am Ende, selber weiß zu sein. Ich mag es, dass wir mit diesem Film eine Figur erschaffen haben, über die so in der Kultur oft nicht geredet wird und die normalerweise nicht das Zentrum der eigenen Geschichtsschreibung bildet. Wenn man ein Kind ist - in Berlin, in Miami, in Prag oder wo auch immer - und man mit seiner eigenen Identität kämpft, sei es sexuell, kulturell oder was auch immer, dann kann der Spiegel vielleicht als Spiegel fungieren - er sagt einem: ja, du existiert und deine Geschichte ist es wert, erzählt zu werden.
Burg: Als Sie an dem Film gearbeitet haben, war das noch die Zeit der Obama-Administration. Jetzt kann ich nicht umhin, mich zu fragen, ob unter der neuen Regierung mit einem Präsidenten, der bestimmte Rassentrennungen in den USA einfach leugnet, dieser Film nicht auch ein Zeugnis einer Realität ist, die der Präsident verneint und ob man den Film heutzutage nicht auch mit anderen Augen sehen sollte.
Jenkins: Der Film ist in den USA am 21. Oktober letzten Jahres rausgekommen, also noch drei bis vier Wochen vor den Wahlen. Was ich in der Tat bemerkt habe, war, dass die Leute zwar schon sehr offen für den Film waren, als er herauskam – zur Wahl wurde er aber zu einer Art Symbol, für etwas, was den Menschen wichtig war, nämlich die Tatsache, dass es mehr als nur ein Amerika gibt. Dieser Junge, der Star unseres Films, ist genauso amerikanisch wie alle andern Amerikaner auch und seine Geschichte ist genauso wert erzählt zu werden wie die jedes anderen. Wir versuchen uns selbst gegenüber zu bestätigen, dass die USA ein offener Ort sind, dass wir alle unsere Bürger unterstützen werden. Es wird interessant werden zu sehen, wie die Kunst den Zustand des Landes in den nächsten vier Jahren reflektieren wird.
Burg: Wenn Sie ein paar Jahre vorspulen würden, was glauben Sie, wird die Debatte über die weißen Oscars nicht mehr existieren?
Jenkins: Ja, das hoffe ich. Wenn ich an "Oscars so white" denke, stelle ich mir vor, wie man eine Zusammenfassung meines Films liest, eine Coming-of-age- Geschichte über einen armen schwarzen Jungen, der mit seiner sexuellen Identität und seiner drogensüchtigen Mutter zu kämpfen hat. Da glaubt man doch gleich zu wissen, worum der Film geht, und sagt sich: "den muss ich nicht sehen, das ist nichts für mich".
Aber wegen "Oscars so white" sagt man sich jetzt vielleicht, normalerweise würde ich denken, ich weiß schon, was für ein Film das ist, aber jetzt kucke ich ihn mir vielleicht an. Und dann sieht man den Film und sagt sich "Oh, es ist gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe". Ich hoffe also, dass es irgendwann unnötig wird, und ich denke das wird in zweierlei Hinsicht passieren: Irgendwann werden sich die Leute daran gewöhnen, Geschichten von Menschen zu sehen, die nicht wie sie selber sind. Und es wird immer mehr starke Werke geben, die man einfach nicht ignorieren kann.
Burg: Barry Jenkins, vielen Dank.
Jenkins: Thank you for having me. Dankeschön!